Framing gegen wicked problems
Was bedeuten diese Groß-Frames für die konkrete Arbeit, für die eigenen Botschaften oder die eigene Organisation? Eins muss klar sein: Passt Ihr Anliegen und die Darstellung, die Sie wählen, in einen der hier erwähnten, bereits etablierten Deutungsrahmen? Und was schwingt dabei jeweils mit? Mit welchen Positionen ist die Idee verknüpft?
Schwimmen Sie in einem größeren, bereits etablierten Erzählstrom mit, oder müssen sie gegen den Strom schwimmen? Gibt es vielleicht eine Alternative, einen anderen Groß-Frame für Ihre Botschaft?
Diagnose, Prognose und Motivation
Zum Schluss noch zwei Praxisbeispiele, wie geschicktes Framing den Kampagnen von Nichtregierungsorganisationen Erfolge beschert hat – und dies sogar bei einem sogenannten wicked problem (einem „vertrackten“ Problem, für das es keine einfache Lösung gibt, siehe Kapitel 1).
Juliane Reinecke und Shaz Ansari von den Universitäten im britischen Warwick und Cambridge haben die Situation in der Demokratischen Republik Kongo (DRC) analysiert, wo in den 2000er-Jahren Warlords und Milizen um die Macht kämpften, Kinder als Soldaten missbraucht wurden und sexuelle Gewalt gegen Frauen eine allgemeine Kriegstaktik war. Der Konflikt galt als unlösbare Aufgabe der internationalen Politik, bis Organisationen und Politiker:innen eine Reihe neuer Bedeutungsrahmen aufspannten.
In scheinbar ausweglosen Situationen können soziale Bewegungen, das zeigt die wissenschaftliche Literatur, in drei Schritten eine Veränderung im Framing erreichen: in der Diagnose, der Prognose und der Motivation. Man sollte also das Problem und die Verantwortlichen identifizieren, Möglichkeiten der Abhilfe finden und potenzielle Unterstützer:innen zum Eingreifen bewegen. Nur so lässt sich die Bedeutung für das Publikum herausarbeiten.
In diesem Fall fokussierten die NGOs auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Doch statt die Kriegsverbrecher:innen in den Mittelpunkt der Kampagnen zu stellen, erklärten die Organisationen die Abnehmer der Mineralien zu Mitverantwortlichen, geradezu zu Kompliz:innen der Warlords – Schritt eins. Um die Aufständischen ihrer Geldquellen zu berauben, sollten die Elektronikkonzerne nachweisen, dass ihre Rohstoffe keine „Konflikt-Mineralien“ seien – Schritt zwei. In Schritt drei machten die NGOs die Käufer:innen der Elektro-Geräte zu Unterstützer:innen. Am wirksamsten erwies sich dabei die Verknüpfung mit Mobiltelefonen.
Die Conflict Mineral-Kampagne wurde so zu einem großen internationalen Erfolg. Sie beruhte darauf, dass die NGOs die Komplexität des Problems mittels Framing radikal reduzierten: Weder war Coltan in der Realität die zentrale Ursache der Kämpfe, noch waren die Elektronikkonzerne und End-Verbraucher:innen direkte Schuldige. Doch mit einem neuen Blick auf den Konflikt ließen sich Geschichten erzählen, Emotionen wecken, moralischer Druck ausüben.
Mit Frames Brücken von radikalen zu moderaten Positionen bauen
Beispiel Nummer zwei ist die internationale Kampagne, die die Finanzbasis jener Unternehmen untergräbt, die fossile Energierohstoffe fördern, aufbereiten und vertreiben. Sie ist von Bill McKibben und der Organisation 350.org gestartet worden und hat mittlerweile unter anderem erreicht, dass viele US-Universitäten, Pensionsfonds, Versicherungsgesellschaften oder auch Städte wie Köln ihre Finanzanlagestrategien überdenken und Aktien und Wertpapiere von Öl- oder Kohlefirmen abstoßen.
Dieses sogenannte Divestment war anfangs eine radikale Forderung, eine radikale Art, das Problem zu framen. Nicht die Öl- oder Kohlekonzerne wurden als Schuldige der Klimakrise benannt, sondern deren Finanziers und Anteilseigner:innen. McKibben brachte zudem eine moralische Komponente in die Debatte, wonach es nicht mehr legitim sei, Öl und Kohle zu fördern – oder als Investor:in davon zu profitieren.
Eine vieldiskutierte Frage ist, ob solche Vorstöße und zuspitzenden Kampagnen den moderaten Ideen in der politischen Auseinandersetzung eher helfen oder sie eher diskreditieren. Eine Studie von 2017 (Schifeling/Hoffman) stellte fest, dass mindestens beim Divestment ersteres stimmte. „Es hat dabei geholfen, die US-amerikanische Debatte neu zu zentrieren“, stellte auch der bekannte Blogger David Roberts alias Dr. Vox fest.
Als Erklärung machen die Beobachter:innen aus, dass Brücken zwischen dem radikalen, moralischen Frame und den etablierten Bedeutungsrahmen bestanden oder zumindest erkennbar waren. In diesem speziellen Fall konnten auch Mainstream-Institutionen den Vorschlag (Ausstieg aus fossilen Energien) in ihre Welt (Geldanlage) übersetzen und verstehen, was er für sie bedeutete. Neben dem moralischen Argument hatte die Kampagne auch noch ein ökonomisches: Die fürs Überleben der Menschheit notwendige Energiewende werde in absehbarer Zeit heftige Folgen für die fossilen Konzerne haben – der Wert werde also über kurz oder lang sinken. Den Besitzer:innen der Aktien drohen hohe Verluste, die sie aber bei einem frühen Ausstieg sogar noch begrenzen könnten.
Und – wie Sie bereits mehrfach in diesem Handbuch gelesen haben haben – die Angst vor Verlusten („loss aversion“) ist ein tief in der menschlichen Psyche verankerter Mechanismus.