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Was Sie in diesem Kapitel erwartet? Interview mit Juliane Fischer, Redakteurin FLMH

So manche Methoden in der Klimakommunikation können unerwünschte Effekte haben. Das gilt besonders für vermeintliche Geheimtipps wie Nudging, Priming oder die sogenannten Sequential Requests. Sie setzen auf psychologische Mechanismen, die Menschen in der Regel nicht kennen: Wahrnehmungsfehler oder Schleichwege beim Denken, die man in der Kommunikation im Prinzip ausnutzen könnte. Sicher, alle in diesem Kapitel behandelten Methoden haben Potenzial, aber viele sind umstritten. Und oft ist es keine Ob-, sondern eine Wie- und Wie-Viel-Frage, welchen Erfolg oder Misserfolg man damit erzielt.

Das englische Verb „to nudge“ bedeutet „anstupsen“. In der Verhaltensforschung, aber auch in der Politik und breiteren Teilen der Öffentlichkeit wurde das Wort vor rund zehn Jahren durch ein Buch der US-Wissenschaftler Richard Thaler und Cass Sunstein bekannt: Nudge – Wie man kluge Entscheidungen anstößt lautete sein Titel. Durch sanftes Lenken, so die Grundidee, könnten Menschen dazu gebracht oder dabei bestärkt werden, schnell und ohne großes Nachdenken richtige Entscheidungen zu fällen.

Nudging aber ist sehr umstritten. Manche halten es für genial, andere sehen darin einen Manipulationsversuch und einen Angriff auf die individuelle Freiheit. Eine weitere Gruppe von Kritiker:innen bezweifelt schlicht die Wirksamkeit dieser sanften Entscheidungshilfen. Alle Positionen werden in diesem Kapitel beleuchtet, sodass sich jede:r selbst ein Urteil bilden kann.

(Ausführlicher und mit mehr Beispielen wird das Thema in der Langversion des Kapitels behandelt – Sie können es hier als pdf herunterladen.)

Was ist Nudging?

Um Nudging zu verstehen, sollte man sich eines bewusst machen: Immer, wenn man anderen Menschen die Wahl zwischen verschiedenen Optionen gibt, gestaltet man zugleich auch deren Entscheidung – selbst wenn man es gar nicht beabsichtigt. Das fängt bei einfachen Dingen an, etwa der Reihenfolge, mit der die Optionen erwähnt werden. Durch Erklärungen und Beispiele, die mitgeliefert werden. Mit der Tonlage, in der Auswahlmöglichkeiten erläutert werden. Durch die Gestaltung von Formularen, Broschüren, Webseiten und so weiter.

Daher sollten wir uns als erstes – um mit den Worten von Richard Thaler (Ökonom von der University of Chicago) und Cass Sunstein (Jurist von der Harvard University) zu sprechen – von dem „Missverständnis“ verabschieden „es sei möglich, das Entscheidungsverhalten anderer Menschen nicht zu beeinflussen“.

Wichtig ist, dass beim Nudging zwar die verschiedenen Optionen bewusst präsentiert werden, um eine bestimmte Auswahl nahezulegen – aber es wird keine Option ausgeschlossen oder weggelassen. Thaler und Sunstein bringen es so auf den Punkt: „Das Obst in der Kantine auf Augenhöhe zu drapieren [um zum Kauf anzuregen], zählt als Nudge. Junkfood aus dem Angebot zu nehmen, hingegen nicht.“ Beim Nudging kann jede:r sich also noch für jede Option entscheiden; trotzdem hat jemand anderes sich vorher Gedanken gemacht, welche Option die sinnvollste sein könnte – und diese hervorgehoben.

Ausschlaggebend sind hierbei – eine weitere Grundregel von wohlverstandenem Nudging – die Maßstäbe der Auswählenden selbst. Ihnen wird also eine Entscheidung leicht gemacht, die sie nach gründlichem Nachdenken und beim Abwägen des langfristigen Nutzens sowieso treffen würden, auch wenn sie das im Alltag aus Trägheit oder wegen Informationsmangels oder aus anderen Gründen oft nicht tun. Entscheidungen zu strukturieren und Optionen zu betonen, schränke die Autonomie der Menschen daher nicht ein, wehrt sich Cass Sunstein in einem Essay gegen häufig vorgebrachte Einwände. Im Gegenteil: Nudging könne, wenn es richtig angewandt wird, die Autonomie sogar bewahren, weil es vor langfristigen Problemen schützt, die wir alle uns mit kurzfristigem Denken einhandeln.

Darin besteht der wesentliche Unterschied zu Werbung und Marketing. Die nutzen häufig psychologische Grunderkenntnisse wie die Empfänglichkeit des menschlichen Gehirns für oberflächliche Reize oder kurzfristige Belohnungen, haben dabei aber ausschließlich ihre eigenen kurzfristigen Interessen im Sinn, nicht die langfristigen der jeweils Betroffenen.

Nudges, schreiben Thaler und Sunstein, seien vor allem dann sinnvoll, wenn mehrere dieser fünf Bedingungen erfüllt sind:

  • Eine Entscheidung ist schwierig zu treffen.
  • Die Menschen besitzen nicht genügend Information oder können oder wollen sie nicht verstehen.
  • Sie haben nicht genügend Erfahrungen mit der Entscheidung.
  • Es gibt keine brauchbare Rückmeldung zur Qualität der Entscheidung.
  • Wenn überhaupt, werden die Menschen erst sehr zeitverzögert mit dem Folgen ihrer Entscheidung konfrontiert.

Die beiden dänischen Forscher Folke Ölander und John Thøgersen von der Universität Aarhus spitzen das noch zu: Nudges helfen den Menschen immer dann, nach ihren wahren Präferenzen zu handeln, wenn der Nutzen der Handlung erst verzögert eintritt, während die Kosten sofort zu spüren sind. Auch Menschen mit festen, umweltfreundlichen Einstellungen könne Nudging also helfen, stellt ein Team um Daria Knoch von der Universität Bern fest, weil es hilft, die kognitiven Kosten zu senken, und weil es Entscheidungen weniger anstrengend macht.

Frames

Übung

Wo Nudging eingesetzt wird

Wir alle sind in unserem Leben schon mit solchen Anstupsern in Berührung gekommen. Der übliche Hinweis auf der Stromrechnung zum Beispiel, wieviel mehr oder weniger wir dieses Jahr im Vergleich zum vergangenen verbraucht haben; die großen, abstoßenden Bilder auf Zigaretten-Packungen; die Voreinstellungen beim neu gekauften Handy; oder wo die Waren im Supermarktregal platziert sind – bei all dem handelt es sich um Nudges.

Solche Interventionen sind weit verbreitet. Eine britische Überblicks-Studie von 2014 fand 136 Länder, in denen Instrumente der Verhaltens-Ökonomie wie Nudging angewandt wurden. In 51 davon gab es sogar staatliche Initiativen dieser Art. Berühmt ist zum Beispiel die sogenannte Nudge Unit der britischen Regierung von David Cameron, die später als Behavioural Insights Team privatisiert wurde.

Nudges können viele Formen annehmen: zum rechten Zeitpunkt eine sachliche Information geben, vor Risiken warnen, soziale Verhaltensweisen oder Normen thematisieren, die Reihenfolge von Optionen bestimmen. Doch die Diskussion heizt sich regelmäßig auf, wenn es um die Vorauswahl einer sogenannten Default-Option geht („default“ – engl. für „Standard“). Die kommt zum Tragen, wenn keine andere Entscheidung getroffen wird. Gelegentlich wird das Anstupsen auch auf diesen Sonderfall verkürzt: Das seien die „offensichtlichsten Nudges“, schrieb Cass Sunstein in einem Aufsatz.

Folgende Beispiel sind Default-Optionen: Ein Häkchen im Auswahl-Menü wurde schon gesetzt, im Hotel wird automatisch das Nichtraucherzimmer gebucht, im Feedback-Formular leuchten schon fünf Sterne. Das zu ändern („opt-out“) ist möglich und auch nicht besonders schwer – doch wer nichts weiter tut, folgt der Vor-Auswahl.

Nudging in Experiment und Alltag

Wann und wie genau Nudging das Verhalten von Menschen verändert, dazu gibt es viele – und viele widersprüchliche – Studien.

Bei der Online-Auswahl eines Stromtarifs konfrontierte zum Beispiel Sebastian Berger von der Universität Bern mit einem Kollegen aus Köln gut 20.000 potenzielle Kund:innen mit einem vorab gesetzten Häkchen bei „100 % grüner Strom“. Das Team hatte dazu unter Mithilfe eines Energiekonzerns dessen Neukund:innenportal entsprechend verändert. Der Ökostrom kostete einen kleinen Aufschlag, aber fast 70 Prozent der Proband:innen bestellten ihn. Aus der Kontrollgruppe, die ganz konventionell aktiv die Entscheidung treffen musste, wählten dagegen nur sieben Prozent die klimaschonende Elektrizität. Und während deren Entscheidung meist mit der politischen Nähe zu den Grünen einherging, akzeptierten Anhänger:innen aller Parteien die voreingestellte Option mehr oder weniger gleichmäßig. Man kann also vermuten, dass bei den meisten die Vorauswahl durchaus der eigenen Vorstellungen entsprach – auch wenn die wenigsten aktiv danach gesucht hätten.

Ein weiteres positives Beispiel: Um die Verschwendung von Lebensmitteln zu reduzieren, hilft der Nudge, den Gästen in Hotels oder Restaurants zum Beispiel am Frühstücks-Büffet kleinere Teller und Schüsseln zu geben.

Aber es gibt auch viele Fälle, wo das Nudging nicht wie geplant funktioniert hat. „Gescheiterte Interventionen sind erstaunlich häufig“, bilanzierte ein Team um Magda Osman von der Queen Mary University in London. Es hat 65 Studien zusammengesucht, die von mangelndem Erfolg berichten (wegen unvollständiger Daten kann man daraus aber nicht ableiten, mit welcher Quote Nudging scheitert).

So könnten Programme, die für das Fahrradfahren oder Zu-Fuß-Gehen werben, um die Gesundheit von Menschen zu verbessern, in vielen US-Städten zu mehr Verkehrstoten führen, erklärte eine Studie: Der Straßenverkehr ist dort einfach zu unsicher für Radfahrerinnen oder Fußgänger. Wenn im Restaurant die Gerichte mit Kalorienangaben versehen sind, dann fühlen sich zwar die Menschen mit mangelnder Selbstkontrolle beim Essen am meisten angesprochen. Aber sie reduzieren ihren Konsum weniger als diejenigen, die auch ohne solche Nudges ihre Ernährung im Griff haben.

Nudging in Experiment und Alltag

Nudges gefallen nicht allen

In Presseberichten über das Nudging-Konzept kochen schnell die Emotionen hoch. Die Süddeutsche Zeitung sprach von „Psychotricks“, und die FAZ urteilte, Nudging bedrohe die Freiheit, Autonomie und Würde von Menschen. Der Widerstand ist dann besonders groß, wenn es der Staat ist, der die Optionen setzt und dabei seine Vorstellung vom Wohl seiner Bürger:innen zugrundelegt. Oder wenn der Staat Firmen zwingt, ihre Kunden:innen „anzustupsen“.

In den USA, wo die Gesellschaft stark politisch polarisiert ist, zeigt sich laut einer Studie in Nature Human Behaviour: Die Zustimmung zu oder die Ablehnung von Methoden, die auf Verhaltensänderungen ausgerichtet sind, hängt im Wesentlichen davon ab, wie das im Beispiel genannte Ziel zur eigenen politischen Haltung passt. Oder ob die Beschreibung Reizworte enthält, die ein Bekenntnis zur eigenen Partei triggern. Wo der Widerstand nicht ideologisch und absolut ist, zeigt sich ein interessantes, vielschichtiges Bild. Die wichtigste Lehre: Wie jemand auf „Anstupser“ reagiert, hängt sehr stark von individuellen Eigenschaften ab. Allgemeine, gleichförmige Effekte darf man nicht erwarten.

Studien zeigen zudem, dass Menschen offene Information anderen Maßnahmen vorziehen. Nudging sollte keinesfalls heimlich passieren. Menschen über die Ziele und das Verfahren zu informieren, ändert offenbar wenig am Erfolg, zeigen Experimente. „Transparenz und Rechenschaftspflicht sind unverzichtbare Sicherheitsmerkmale“ von Nudges, schreibt Sunstein in seinem Aufsatz über die Ethik des Verfahrens. Manchmal kann Nudging sonst geradezu Trotz auslösen (Fachleute sprechen von „Reaktanz“). Und Menschen mögen dann keine Nudges, bilanziert Cass Sunstein in einer eigenen Studie, wenn die verfolgten Ziele illegitim sind.

Demgegenüber werden Nudges dann gut akzeptiert, wenn Menschen die Ziele teilen, so wie vermutlich oben bei der Studie mit der Standardauswahl des Ökostrom-Tarifs. Das gilt besonders, wenn es um Sicherheit und Gesundheit geht. Viele definieren den Begriff „eigene Interessen“ offenbar durchaus breit, setzen also kollektive Ziele vor individuelle oder gewichten den langfristigen Vorteil höher als den kurzfristigen Genuss, besonders wenn es um Probleme der Selbstkontrolle geht. Und selbst wenn keines dieser Kriterien zutrifft, lösen Anstupser immer noch weniger Widerstand aus als Vorschriften oder gar Verbote, ist der Harvard-Jurist Sunstein überzeugt.

Grundstruktur in drei Wörtern

Fazit zum Nudging

Wann Nudging gut ist, wann schlecht, wann hilfreich, wann eher verstörend, das hängt von vielen Faktoren ab. Zusammenfassend könnte man sagen: Wenn Sie in Ihrer Arbeit solche Anreize bzw. Anstupser verwenden möchten, überlegen Sie sich bitte sehr gut, welche Form sie haben und wie sie in das jeweilige Umfeld eingebettet werden. Die Gefahr, dass Sie viele im Publikum nicht richtig erreichen oder sogar gegen sich aufbringen, ist real.

Außerdem gibt es prinzipielle Bedenken. So warnen Adam Corner und Jamie Clark in ihrem Buch Talking Climate:

„Kein Ausmaß von Nudging kommt einer angemessenen Strategie für ein langfristiges Engagement der Öffentlichkeit gleich.“

Um eine wirklich wirksame Antwort der Gesellschaft auf die Klimakrise zu finden, brauche es das bewusste Nachdenken der Menschen, betonen sie. Nudging hingegen sei „am Ende ein ‚nicht-denkender‘ Ansatz, um Verhalten zu verändern“. Und das sei eigentlich zu wenig.

das richtige Maß

Psychologische Eigenheiten heimlich ausnutzen – Anchoring und Priming

Im Folgenden werden Methoden vorgestellt, die das Ziel haben, Verhalten zu ändern, ohne den Weg über das Wissen und Denken, die Fähigkeiten und Einstellungen zu gehen. Also Wege, die eher eine unbewusste Manipulation bedeuten und daher nur selten zu empfehlen sind.

(In der ausführlichen Version dieses Kapitels – hier als pdf herunterladen – werden weitere Methoden behandelt, und es finden sich zu allen mehr Details.)

Den Anfang bilden priming und anchoring. Beide sind verwandt: Man erwähnt, scheinbar beiläufig und doch gezielt, etwas, das die Entscheidung des Publikums beeinflussen soll. Es kann eine Zahl sein, die dann weitere Überlegungen verankert (diesen Tipp kennen vielleicht viele von Ihnen aus Verhandlungen über das Gehalt oder den Kaufpreis eines gebrauchten Fahrrads). Oder man bringt statt einer Zahl ein ganzes Konzept vor, das dann im Hirn des Gegenübers verankert ist und seine geistige Beschäftigung mit Ihrem Vorschlag prägt, lenkt und fördert (englisch: „to prime“).

Eine Studie von 2010 erprobte dies: In einem der Experimente wurden eine Hälfte der Teilnehmer:innen gefragt, ob sie glaubten, die Erde werde sich in den kommenden 30 Jahren um exakt ein Grad erwärmen. Die andere Hälfte bekam die gleiche Frage mit zehn Grad zu lesen. Wer verneinte, sollte selbst schätzen – und weil die erwähnte Gradzahl als Anker (englisch: „anchor„) wirkte, nannte die zweite Hälfte im Mittel um fast zwei Grad höhere Werte.

Bei der Studie eines schwedisch-britisches Forschungsteam ging es um die „Illusion des negativen Fußabdrucks“, die wir in Kapitel 10 am Beispiel einer Mahlzeit aus einem Hamburger und einem Bio-Apfel kennengelernt haben: Viele Menschen glauben, sie könnten etwas umweltunfreundliches teilweise dadurch ausgleichen, dass sie außerdem etwas umweltfreundliches tun. Drei normale Autos plus ein Elektroauto stoßen nach dieser Logik insgesamt weniger CO2 aus als die drei Verbrenner allein. Wer so denkt, bewertet also den durchschnittlichen Effekt beider Handlungen und nicht – wie es korrekt wäre – die Summe. Die Arbeitsgruppe um Mattias Holmgren von der Universität im schwedischen Gävle beschäftigte ihre Proband:innen darum mit Aufgaben, in denen etwas zusammengerechnet werden musste, bevor sie ihnen eine Frage stellte, die sonst den Fehler provoziert hätte: Und nun ließ dieser sich weitgehend vermeiden.

Erschreckend jedoch ist, wie einfach sich mit Priming alltäglicher Rassismus und Sexismus triggern lässt. Ein klassisches, inzwischen durch weitere Studien bestätigtes Experiment zeigt das mit einem Mathetest für US-Studentinnen asiatischer Abstammung. Erinnerte man sie mit einigen kurzen Fragen an ihre Herkunft, schnitten die jungen Frauen besser ab als eine Vergleichsgruppe. Behandelten die Fragen das Geschlecht, erzielten die Teilnehmerinnen schlechtere Resultate. In beiden Fällen kamen Vorurteile zum Tragen, nämlich dass Menschen aus Asien gut und Mädchen schlecht in Mathe seien.

Grundstruktur in drei Wörtern

Wie sich Menschen selbst überzeugen

Ein zweiter Ansatz zu einer unbewussten Manipulation ist es, Menschen dazu zu bringen, eine Entscheidung explizit zu begründen, entweder schriftlich oder mündlich. Das kann zu anderen Effekten führen als eine stille Auswahl, weil die meisten ein großes Bedürfnis haben, sich selbst als konsistent in Ansichten und Handlungen zu erleben und den eigenen Ansprüchen tatsächlich zu genügen (Stichwort „kognitive Dissonanz“, Kapitel 2). Besondere Bedeutung hat dabei, was sie sich selbst sagen hören oder was sie aufschreiben.

Die Folgen können sehr positiv sein: Auf diese Weise bekommen Fakten und sachliche Argumente mehr Gewicht; es ist womöglich ein Grund, warum Bürgerräte und ähnliche Gremien überhaupt funktionieren und oft erstaunliche Entscheidungen treffen. Beispiele dafür sind etwa die Forderung der französischen Convention Citoyenne pour le Climat, Klimaschutz in die Verfassung aufzunehmen, oder das Votum des deutschen Bürgerrats Klima für das baldige Ende der Ölheizung und des Verbrennungsmotors.

Aber eine Entscheidung explizit zu begründen, kann auch zu einem schlechten Nachgeschmack oder gar Reue führen. Womöglich offenbart sich nämlich so eine Diskrepanz zwischen einer emotionalen Bewertung und einer rationalen, die sich nur auf bewusst wahrgenommene und aussprechbare Aspekte stützt.

Grundstruktur in drei Wörtern

Der Fuß in der Tür

Das letzte Beispiel von Manipulationsmethoden bildet ein Paar von Techniken, die aus dem breiten Feld der Überredungskunst kommen: sie werden englisch Compliance Strategies und in diesem Fall speziell Sequential Requests genannt. Beide bestehen darin, Menschen nacheinander um zwei Dinge oder Gefallen zu bitten, wobei die jeweils erste Frage überhaupt nicht ernstgemeint ist, sondern die Zielperson nur in die richtige Stimmung bringen soll.

1) Mit der Tür ins Haus fallen (door in the face, DITF): Man bittet zunächst um etwas Unverschämtes, sodass das Gegenüber kaum zustimmen kann. Der Preis ist zu hoch, die benötigte Zeit zu lang, die Umstellung im Leben zu gravierend, so in der Art. Sobald man das erwartete „Nein“ hört, guckt man enttäuscht und schiebt sofort das nach, was man eigentlich erreichen wollte. Die Chance, jetzt ein „Ja“ zu hören, ist deutlich höher, als wenn man es sofort damit versucht hätte.

2) Der Fuß in der Tür (foot in the door, FITD): Man bittet zunächst um etwas Kleines, eine Unterschrift zum Beispiel. Danach folgt die eigentliche, größere Bitte, entweder sofort oder nach einer Frist. Auch jetzt ist die Rate der Zustimmung in der Regel höher als bei einer nicht vorbereiteten Kontrollgruppe.

Was an diesen Verfahren und ihren vielen Varianten verwerflich sein könnte, ist der Charakter der ersten Frage: Sie ist in der Regel ein reiner Trick. Zumindest der „Fuß in der Tür“ wird indes dann zu einer ethisch einwandfreien Methode, wenn die Bitte am Anfang schon einen wirklichen Sinn ergibt: Wenn also auf die eine LED-Lampe, die man sich bei einer Aktion aufschwatzen lässt, zuhause einschraubt und unerwartet gut findet, später das Angebot folgt, weitere Lichtquellen umzurüsten oder eine Energieberatung zu machen. Das kann dann nämlich der Anfang einer Kette von Handlungen sein, die man in der Psychologie als positiven Spillover bezeichnet (siehe Kapitel 10). Das Verhalten schwappt dann vom einen in den anderen Bereich über, wenn sie alle etwa durch eine klimafreundliche Einstellung verknüpft sind.

Grundstruktur in drei Wörtern

Fazit 

All die genannten Methoden zielen darauf ab, Verhalten zu ändern, und nutzen dabei die kognitiven Besonderheiten des menschlichen Gehirns aus. Natürlich kommt es bei der Beurteilung dieses Seitenaspektes der Klimakommunikation entscheidend darauf an, mit welchem Ziel man solche Techniken anwendet. Doch nicht in allen Fällen heiligt der Zweck die Mittel. Ein gutes Kriterium könnte sein: Fühlen wir uns wohl dabei, wenn wir die psychologischen Hintergründe einer Methode offen erklären?

Der gedankliche Hintergrund und die Mahnung, mit dem Anstupsen sehr transparent umzugehen, zeichnen das Verfahren in der Tat aus. Es als „Manipulation“ zu bezeichnen, ist eigentlich nicht gerechtfertigt, auch wenn der Vorwurf oft erhoben wird. Im Gegenteil: Nudging bringt im besten Fall ans Tageslicht, was sonst im Verborgenen passiert und unvermeidbar ist – Entscheidungen für andere zu strukturieren.

Grundstruktur in drei Wörtern

Link- und Literaturliste zum Weiterlesen

  • Die Entscheidungsforscherin Ayala Arad von der Universität Tel Aviv und Wirtschaftswissenschaftler Ariel Rubinstein von der New York University verglichen in Experimenten die Reaktion auf verschiedene Arten des Nudging in Israel, den USA und Deutschland.

  • Manche Experimente belegen, dass die Erfolgsaussichten einer Maßnahme bisweilen größer sind, wenn Menschen gute Informationen bekommen und ohne voreingestellte Option aktiv entscheiden dürfen.

  • Das Buch Behave – The Biology of Humans at our Best and Worst des Stanford-Psychologen Robert Sapolsky (Deutsch unter dem Titel Gewalt und Mitgefühl) enthält zahlreiche Beispiele für Priming.

Übrigens …

Dieses Kapitel gibt es – wie alle anderen Kapitel – in jeweils zwei Fassungen:

  • Einmal kurz und kompakt, wie Sie es hier gerade lesen (als Online-Version mit interaktiven Übungen).
  • Daneben gibt es von jedem Kapitel auch eine ausführliche Fassung im PDF-Format zum Herunterladen. Diese enthält mehr Details und Hintergründe und teils andere Übungen.