Um Nudging zu verstehen, sollte man sich eines bewusst machen: Immer, wenn man anderen Menschen die Wahl zwischen verschiedenen Optionen gibt, gestaltet man zugleich auch deren Entscheidung – selbst wenn man es gar nicht beabsichtigt. Das fängt bei einfachen Dingen an, etwa der Reihenfolge, mit der die Optionen erwähnt werden. Durch Erklärungen und Beispiele, die mitgeliefert werden. Mit der Tonlage, in der Auswahlmöglichkeiten erläutert werden. Durch die Gestaltung von Formularen, Broschüren, Webseiten und so weiter.
Daher sollten wir uns als erstes – um mit den Worten von Richard Thaler (Ökonom von der University of Chicago) und Cass Sunstein (Jurist von der Harvard University) zu sprechen – von dem „Missverständnis“ verabschieden „es sei möglich, das Entscheidungsverhalten anderer Menschen nicht zu beeinflussen“.
Wichtig ist, dass beim Nudging zwar die verschiedenen Optionen bewusst präsentiert werden, um eine bestimmte Auswahl nahezulegen – aber es wird keine Option ausgeschlossen oder weggelassen. Thaler und Sunstein bringen es so auf den Punkt: „Das Obst in der Kantine auf Augenhöhe zu drapieren [um zum Kauf anzuregen], zählt als Nudge. Junkfood aus dem Angebot zu nehmen, hingegen nicht.“ Beim Nudging kann jede:r sich also noch für jede Option entscheiden; trotzdem hat jemand anderes sich vorher Gedanken gemacht, welche Option die sinnvollste sein könnte – und diese hervorgehoben.
Ausschlaggebend sind hierbei – eine weitere Grundregel von wohlverstandenem Nudging – die Maßstäbe der Auswählenden selbst. Ihnen wird also eine Entscheidung leicht gemacht, die sie nach gründlichem Nachdenken und beim Abwägen des langfristigen Nutzens sowieso treffen würden, auch wenn sie das im Alltag aus Trägheit oder wegen Informationsmangels oder aus anderen Gründen oft nicht tun. Entscheidungen zu strukturieren und Optionen zu betonen, schränke die Autonomie der Menschen daher nicht ein, wehrt sich Cass Sunstein in einem Essay gegen häufig vorgebrachte Einwände. Im Gegenteil: Nudging könne, wenn es richtig angewandt wird, die Autonomie sogar bewahren, weil es vor langfristigen Problemen schützt, die wir alle uns mit kurzfristigem Denken einhandeln.
Darin besteht der wesentliche Unterschied zu Werbung und Marketing. Die nutzen häufig psychologische Grunderkenntnisse wie die Empfänglichkeit des menschlichen Gehirns für oberflächliche Reize oder kurzfristige Belohnungen, haben dabei aber ausschließlich ihre eigenen kurzfristigen Interessen im Sinn, nicht die langfristigen der jeweils Betroffenen.
Nudges, schreiben Thaler und Sunstein, seien vor allem dann sinnvoll, wenn mehrere dieser fünf Bedingungen erfüllt sind:
- Eine Entscheidung ist schwierig zu treffen.
- Die Menschen besitzen nicht genügend Information oder können oder wollen sie nicht verstehen.
- Sie haben nicht genügend Erfahrungen mit der Entscheidung.
- Es gibt keine brauchbare Rückmeldung zur Qualität der Entscheidung.
- Wenn überhaupt, werden die Menschen erst sehr zeitverzögert mit dem Folgen ihrer Entscheidung konfrontiert.
Die beiden dänischen Forscher Folke Ölander und John Thøgersen von der Universität Aarhus spitzen das noch zu: Nudges helfen den Menschen immer dann, nach ihren wahren Präferenzen zu handeln, wenn der Nutzen der Handlung erst verzögert eintritt, während die Kosten sofort zu spüren sind. Auch Menschen mit festen, umweltfreundlichen Einstellungen könne Nudging also helfen, stellt ein Team um Daria Knoch von der Universität Bern fest, weil es hilft, die kognitiven Kosten zu senken, und weil es Entscheidungen weniger anstrengend macht.