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Was Sie in diesem Kapitel erwartet? Interview mit Toralf Staud, Redakteur klimafakten.de

Wer glaubt, der Mensch sei ein durch reine Vernunft bestimmtes Wesen, irrt. Fakten bestimmen unser Handeln nur in einem sehr begrenzten Rahmen. Unser Denken ist vielmehr geprägt von mentalen Abkürzungen, Trampelpfaden und Irrwegen. In der Kommunikation rund um den Klimawandel wird dies besonders deutlich. Wer sich der Besonderheiten unseres Verstandes bewusst ist, kann mit Empathie und Rationalität wirksame Strategien und Methoden für eine erfolgreiche Kommunikation entwickeln. Davon handelt dieses Kapitel.

Rationales vs. emotionales Gehirn

Ein Mensch, der auf einem Elefanten reitet: Er thront auf dem Tier und glaubt, es zu lenken. Seine tatsächliche Macht ist jedoch sehr begrenzt. Niemand kann einen Elefanten aufhalten, wenn der sich entschieden hat, einen anderen Weg zu gehen, als der Mensch möchte. Mit diesem Bild beschreibt der Psychologe Jonathan Haidt von der New York University das ungleiche Verhältnis zwischen Emotion und Denken, wobei in dem Bild der Mensch den Verstand symbolisiert und der Elefant die Gefühlswelt. 99 Prozent der mentalen Prozesse laufen außerhalb des bewussten Denkens ab – und doch bestimmen sie in vielen Momenten das Verhalten eines Menschen. Haidts Modell wird in dem folgenden Youtube-Clip gut erklärt.

Haidt stellt sich mit seiner These gegen verschiedene klassische Schulen der Philosophie, die seit der Aufklärung die Besonderheit des Menschen (bspw. als Abgrenzung zum Tier) über seine angebliche Vernunftbegabung definieren. Er beruft sich dabei unter anderem auf den schottischen Denker David Hume (1711-1776), der den Ausspruch geprägt hat: „Reason is and ought only to be the slave of passions.“ Was man sinngemäß übersetzen kann mit: „Der Verstand ist von den Gefühlen abhängig und sollte es auch sein.“

Nach diesem Modell folgt die Ratio den Emotionen: Wir Menschen benutzen unseren Verstand oft, um ein bereits getroffenes emotionales Urteil zu bestätigen – während wir uns jedoch einbilden, ergebnisoffen das Für und Wider zu prüfen. Unser Gehirn, so Haidt, hat sich nicht dazu entwickelt, um die Wahrheit zu enthüllen, sondern um uns beim Überleben in einer komplexen sozialen Umwelt zu helfen. So leistet uns diese Zweiteilung in Ratio und Emotionen zumeist gute Dienste, kann uns aber auch in die Irre führen, wenn nämlich unser Ruf und unsere Stellung in der Gemeinschaft wichtiger sind als abstrakte Wahrheit.

„Motivated reasoning“ oder auch: Klima-Irrationalität

„Mehr als jedes andere Thema enthüllt der Klimawandel, wie unser Geist funktioniert“, sagt George Marshall von der britischen Organisation Climate Outreach. „Er zeigt unser außerordentliches angeborenes Talent, nur das zu sehen, was wir sehen wollen – und zu ignorieren, was wir lieber nicht wissen möchten.“

Im Kommunikations-Handbuch des Center for Research on Environmental Decisions (CRED) an der Columbia University heißt es darum: Die Kunst bestehe darin, beide Seiten anzusprechen, dem Gehirn analytische aber auch fühlbare Botschaften zu übermitteln. Schwierig werde es aber, wenn sich die emotionale Seite bereits festgelegt habe.

Die Psychologie nennt das motivated reasoning (zu Deutsch etwa: „zielgerichtetes Denken“). Hierbei versucht der Verstand gute Gründe für Entscheidungen zu finden, die wir aufgrund unserer Emotionen längst getroffen haben. Wir benutzen den Geist, laut Jonathan Haidt, als parteiischen Anwalt und nicht als neutralen Richter.

(Wenn Sie mehr über motivated reasoning lernen wollen: In der Langfassung dieses Kapitels finden Sie weitere Informationen und eine Übung – Diese können Sie hier als pdf-Datei herunterladen.)

Sich eigener Denkschwächen bewusst werden

Die beschriebenen Schwächen im Denken behindern einen rationalen Diskurs unterschiedlicher Personen miteinander und sind daher vor allem im Zusammenhang mit emotional aufgeladenen Themen kontraproduktiv. Um uns selbst diese Schwächen abzutrainieren, müssen wir aktiv werden und die eigenen Einstellungen und Impulse hinterfragen und neutralisieren. Nur so können wir auch Argumente gelten lassen, die uns nicht gefallen.

Da neutrale Analysen den Geist mehr anstrengen als emotionale Schnellschüsse, bedienen wir uns in der Regel sogenannter Heuristiken, also mentaler Schleichwege. Es sind oft Methoden, mit denen wir ähnliche Probleme schon in der Vergangenheit gelöst haben: Wir trauen unserem begrenzten Wissen, wir fragen eine Freundin oder einen Nachbarn, wir hören auf das Urteil von (uns vertrauenswürdig erscheinenden) Fachleuten oder schlagen bei Wikipedia nach. Doch diese Schleichwege können uns in die Irre führen – werden wir uns ihrer bewusst, können wir sie auch wieder deaktivieren und sind frei für wirklich neutrales Analysieren.

„Cultural cognition“: unser sozialer Mitgliedsausweis

Ein Sonderfall zielgerichteten Denkens ist die sogenannte cultural cognition“ (zu Deutsch etwa: „kulturell geprägte Denkweise“ – auch hierzu weitere Informationen und eine Übung in der pdf-Langfassung dieses Kapitels). Der Rechtswissenschaftler Dan Kahan von der Yale University beschreibt es wie folgt: Unser Denken setzen wir nicht nur ein, um die eigene Meinung zu bestärken, sondern auch, um Ansichten zu bestätigen, die in unserer sozialen Gruppe vorherrschend sind. Dieser Mechanismus betrifft – neben vielen anderen – auch das Denken und Sprechen über den Klimawandel.

„Mit der Position zum Klimawandel zeigt man den Anderen, was für eine Person man ist“, sagt Kahan. Die eigene Meinung wird zum „Mitgliedsausweis“ einer sozialen Gemeinschaft, und zwar immer dort, wo ein sachliches Thema stark politisiert worden ist (wie es in Kahans Heimatland, den USA, besonders der Fall ist). Kahans Rat: „Wir müssen damit aufhören, wissenschaftliche Fragen zu Wir-gegen-die-Themen zu machen, über die man nicht mehr ohne politisches Bekenntnis reden kann.“ (siehe auch Kapitel 1). Andernfalls blockiert die Kommunikation Handlungsmöglichkeiten.

Welt retten oder Freund:innen behalten?

Gerade in der Klimadebatte sind viele Begriffe, Konzepte und Ideen von sozialer Bedeutung durchzogen. Wir alle schöpfen einen Teil unserer Identität daraus, welche Informationen wir für wichtig und wahr halten. Wir alle möchten vermeiden, plötzlich von Nahestehenden schief angeschaut zu werden, weil wir am impliziten Konsens der Gruppe rütteln oder aus ihm ausscheren. Dieses Verhalten hat vermutlich evolutionäre Gründe. So bedeutete der Ausschluss aus einer Gruppe (zum Beispiel nach einem Streit) in der Vorzeit oft das Todesurteil für ein Individuum. Soweit das soziale Verhalten also in der DNA stecken kann, begünstigt dieser Mechanismus den noch heute oft zu beobachtenden Hang zu Gruppen-Konformität.

Kognitive Dissonanz: wenn das Selbstbild zwickt

Eine andere Art, auf die Probleme bei der Einordnung der Fakten zum Klimawandel zu blicken, ist das Modell der kognitiven Dissonanz: Wenn unsere Gedanken und Gefühle oder auch unser Wissen nicht mit unserem Verhalten zusammenpassen, dann leidet darunter unser Selbstbild, ein konsistenter und bedachter Mensch zu sein. Und dann suchen wir nach Lösungen, um diese Spannung zu reduzieren und unsere Selbstachtung wiederherzustellen. Oft ist es der einfachste Weg, unsere Denkweise und den Blick auf die Situation oder unsere Ziele (nachträglich) zu verändern – jedenfalls ist dies in der Regel einfacher, als das Verhalten zu ändern.

Geprägt wurde der Begriff „kognitive Dissonanz“ durch den Psychologen Leon Festinger, der sich in den 1950-er Jahren in eine Sekte eingeschlichen hatte, die sich aktiv auf den Weltuntergang vorbereitete. Die Auserwählten – selbstverständlich Sektenmitglieder – sollten unmittelbar vor einer angeblich kurz bevorstehenden, neuen Sintflut von Raumschiffen Außerirdischer aufgenommen werden. Doch dann blieb der Weltuntergang am prophezeiten Datum aus, die Sektenmitglieder waren erschüttert – hatten allerdings schnell eine Erklärung parat: Sie hätten durch ihre Frömmigkeit die Erde gerettet. Und sie begannen, aktiv zu missionieren und neue Mitglieder für einen Kult zu werben, dessen zentrales Dogma gerade widerlegt worden war. Ihr Erfolg bestätigte wiederum ihre neue Weltsicht: Sie konnten ja kaum irren, wenn andere sich für ihre Überzeugung begeistern ließen. Oder?

Bestätigungen und andere Defekte

Die Psychologie hat eine ganze Reihe von Effekten und Mechanismen gefunden, wie dieser Denkfehler, dieser Selbstbetrug gewissermaßen, im Gehirn abläuft. Fasst man die Arbeit der Psychologie zu kognitiven Verzerrungen und Denkfehlern zusammen, findet man sehr viele Beispiele. Es existieren verschiedene Sammlungen mit jeweils knapp 190 Beispielen zu kognitiver Verzerrung. Diese Sammlungen kategorisieren die Denkfehler (hier Effekte genannt) mit grafischen Methoden zu Gruppen. Nicht alle beschriebenen Denkfehler bzw. Effekte sind für die Klimakommunikation relevant, aber etliche erklären die typischen Probleme dabei.

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In der Langversion dieses Kapitels (hier als pdf-Datei zum Herunterladen) können Sie zehn weitere häufige Denkfehler und psychologische Mechanismen im Detail kennenlernen.

Verlustangst und Abwerten der Zukunft

Zum Abschluss werden noch zwei kognitive Verzerrungen beleuchtet, die vor allem in der Kommunikation rund um den Klimawandel von besonderer Bedeutung sind.

  1. Eine für den Menschen typische Angst vor Verlusten (englisch: „loss aversion“) führt dazu, dass wir mehr dafür tun, Verluste zu vermeiden, als gleich große Gewinne zu erzielen. Anders gesagt: Positive Ereignisse müssen größer sein als negative, um uns zu trösten. Wenn wir zum Beispiel 300 Euro gewonnen haben und danach 150 wieder verlieren, ärgern wir uns womöglich, obwohl wir doch immer noch 150 Euro im Plus sind. Mit ziemlicher Sicherheit wird unser Gefühl negativer sein als in einer Situation, wo wir einfach nur 150 Euro gewonnen hätten und uns uneingeschränkt freuen.
  2. Das sogenannte „future discounting“ (zu Deutsch etwa: Abwerten der Zukunft) führt dazu, dass uns Menschen die nahe Gegenwart wichtiger ist als das, was irgendwann kommen mag.

Zusammengenommen verursachen beide Effekte folgendes Dilemma: Versuchen wir zu argumentieren, dass Menschen heute auf ihre Autos verzichten sollen, damit in Zukunft der Verkehr mittels Fahrrad, Bus und Bahn sehr viel besser funktioniert (und wir außerdem eine Chance haben, gefährliche Folgen des Klimawandels abzuwenden), sprechen beide Effekte gegen uns. Unsere Zuhörer:innen gewichten Verluste höher als Gewinne und die Gegenwart höher als die Zukunft.

Mit Empathie und Rationalität Gegenstrategien entwickeln

Das Herumreiten auf den kognitiven Schwächen des menschlichen Gehirns soll nicht mutlos machen – sondern dabei helfen, Geduld und Gelassenheit zu entwickeln. Wenn wir das Gefühl haben, unser Gegenüber sei verbohrt, egoistisch, heuchlerisch, ideologisch eingeengt oder schlicht doof, dann passt dessen Verhalten offenbar nicht zu unseren Erwartungen. Ein Teil der Ursache ist vermutlich, dass er oder sie viele Denkschleichwege kennt, um unangenehme Veränderungen durch das Vorschieben vermeintlich guter Argumente zu vermeiden. Und ein anderer Teil, dass wir selbst vielleicht nicht weit genug denken, um mentale Hindernisse umgehen zu können.

Wer jedoch etwas weiß über die Trampelpfade und Irrwege des menschlichen Denkens, kann dann auch mit Empathie und Rationalität Strategien und Methoden dagegen entwickeln. Welche dies sein könnten, wie man sie findet und wie man sie in die Praxis umsetzt – genau darum geht es in den meisten Kapiteln dieses Handbuchs.

Hilfreich ist es auch, sich mit Menschen auszutauschen, die in der gleichen Situation sind. In vielen Berufen ist es schließlich gute Praxis, sich Frustrationen von der Seele zu reden, Zweifel und mögliche Fehler zu erörtern und zurechtzurücken.

Übrigens …

Dieses Kapitel gibt es – wie alle anderen Kapitel – in jeweils zwei Fassungen:

  • Einmal kurz und kompakt, wie Sie es hier gerade lesen (als Online-Version mit interaktiven Übungen).
  • Daneben gibt es von jedem Kapitel auch eine ausführliche Fassung im PDF-Format zum Herunterladen. Diese enthält mehr Details und Hintergründe und teils andere Übungen.

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